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Comicverfuehrer

Entdecken leicht gemacht: Ein neues Abenteuer des „Leutnant Blueberry“ ermöglicht den sanften Einstieg in die absurd-wunderbare Welt des Christophe Blain


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Bild: Christophe Blain/Joann Sfar - Egmont Ehapa Verlag

Obacht! Das ist eine echte Gelegenheit! Eine Einstiegsdroge. In eine Sucht namens Christophe Blain. Denn es ist ja oft so, dass Süchte gar nicht so leicht fallen. Der erste Kaffee, die erste Zigarette, die erste Folge von Germany’s Next Topmodel. Auch Blain-Comics sind etwas gewöhnungsbedürftig. Diesmal aber nimmt Blain sich zurück, aus Respekt: Mit Joann Sfar liefert er eine Hommage an einen Klassiker, „Leutnant Blueberry“. Leidenschaftliche Blainer könnten das für zahm halten, aber für Neueinsteiger ist es eine echte Chance.


Das Erbe des Italo-Western


Die Serie „Blueberry“ war in den 60er/70er Jahren hochmodern, zeigte abgerissene, fragwürdige Helden, nutzte die neuen Elemente des Italo-Western. Sie verwöhnte optisch mit aufregenden Perspektiven, geschickten Schnitten, naturalistischen Zeichnungen. Und erzählerisch, etwa durch eine lustige Nebenfigur, den Säufer McClure, sozusagen Blueberrys Kapitän Haddock. Man kann das auch Pampering nennen – heute reagieren Fans oft allergisch darauf, wenn Kreative diese Vorzugsbehandlung durch neue Elemente beeinträchtigen. Blain und Sfar respektieren das in erstaunlichem Umfang.


Die Geschichte ist das Ironiefreiste, was ich von Sfar kenne: Ein Junge erzählt seinem Kumpel, dass seine Schwester auf ihn steht. Alle drei reiten in die Prärie, der Junge lässt beide allein, um versteckt zuzusehen, wie der Kumpel eine Ohrfeige kassiert. Der zieht frustriert ab, sieht in der Nähe zwei badende Apachinnen, will sie vergewaltigen, und als sie sich mit Messern wehren, rettet ihn die Schwester mit zwei gezielten Schüssen. Blueberry wird zufällig Zeuge. Ein Mord aus Geilheit und Blödheit, da bleibt auch für Sfar kaum noch Platz für Humor. Blain verkneift sich jede Karikatur, jede Parodie. Das ist die Einstiegsdroge.


Blain reduziert Girauds Vorlage geschickt: Landschaft, Charaktere, Action, alles ist da, aber wo Giraud kleinteilig wird, deutet Blain nur an oder arbeitet mit Freistellungen. Es ist ein bisschen wie Theater und Film: Wo Giraud die ganze Szene(rie) lieferte, nutzt Blain Close ups und sein Talent, mehrere Bewegungen und Abläufe in einem Moment zusammenzufassen. Wann springt man auf ein Pferd auf, wie zieht man einen Revolver beim Sich-Umdrehen, wie überschlägt sich ein getroffener Indianer samt Pferd, das ist alles ganz nah am Original und zugleich so typisch Blain, dass man wünscht, es gäbe mehr davon und mehr und noch mehr.


Gibt es.


Mit Blueberry beginnen – und dann ab zu Gus!


Zum Weiterentdecken Blains empfiehlt sich „Gus“, weil’s auch im Western spielt. Die schwarzhumorige Geschichte der drei Räuber Gus, Clem und Gratt ist optisch noch eingedampfter. Die Landschaft ist noch reduzierter, die Räuber sind liebevoll karikiert, und ihre Bewegungen zum Slapstick überdreht. Gerade im Vergleich mit „Blueberry“ fasziniert, wie Blain dieselben Beobachtungen absurd verdichtet, bis etwa galoppierende Pferde nur noch ganz präzise verwischte Formen sind. Erstaunlich ist, dass neben dem Witz auch noch Action und berührende Geschichten möglich sind: Wie Clem zwischen seiner Frau seiner vergötterten Tochter und seiner Affäre liebt und leidet, schildert Blain geradezu magisch ausbalanciert, das Ergebnis ist komisch und bewegend zugleich.


Wer nun genug vom Western hat: Es gibt fünf Bände „Isaak der Pirat“. Die Geschichte eines Malers, der zur See fährt und dort Piraten in die Hände fällt. Die mögen seine Bilder, bringen ihm dafür das Diebeshandwerk bei, es geht um Gold, Frauen, Abenteuer, die Dummheit junger Männer, alles eine Spur erwachsener als die „Gus“-Abenteuer, weil Blain seine Zutaten unendlich stufenlos regeln kann. Gerade in Liebesdingen: Die Reise dauert ja viel länger als erwartet, die daheimgebliebene Malersfrau verliebt sich neu, seine Flirts in der Fremde sind so aufregend wie ungeschickt, und alle diese Zerrissenheiten sind sehr traurig und doch sehr, sehr lustig. Und da geht noch mehr.


Filmreifer Abstecher in die Außenpolitik


Zusammen mit dem Diplomaten Antonin Baudry hat Blain den Alltag im französischen Außenministerium unter Dominique de Villepin zu der rasch verfilmten Hintergrundsatire „Quai d’Orsay“ verarbeitet: Eitelkeiten, Befindlichkeiten, ein wahnsinniger Chef, eine entnervte Bürokratie und natürlich eine kleine Liebesgeschichte an der Schwelle zum Irakkrieg. Zu realistisch? Okay: „Das Getriebe“ erzählt eine kafkaeske Geschichte über drei Matrosen an Bord eines gigantischen Schlachtschiffs. Und „Der Hop-Frog-Aufstand“ erzählt von einer bizarren Revolte der Alltagsgegenstände unter Führung einer Kaffeekanne. Natürlich haben Sfar und Lewis Trondheim auch Blain in ihren aberwitzigen „Donjon“-Fantasyzyklus eingebunden, vier Bände stammen von ihm. Und dann wäre noch der Ausflug ins alte Griechenland mit „Sokrates, dem Halbhund“, einen vierten „Gus“-Band könnte man dringend mal ins Deutsche übersetzen, und das Faszinierendste an dem ganzen Werk: Nichts, wirklich nichts davon ist schlechter als gut. Man muss nur noch reinfinden.


Etwa mit einer Einstiegsdroge namens „Blueberry“.


Christophe Blain, Joann Sfar, Sokrates der Halbhund, Reprodukt, Bd.1-3, je 12 Euro



Sie wollen Ihren Senf dazugeben? Dann hier:



  • 11. Juni 2019

Westerntitel feiern im Comic ein Comeback: Die Verlage legen Klassiker neu auf oder beleben das Genre neu. Lesen Sie, wo Sie ziehen sollten – und wo Sie steckenlassen können


Liegt’s am ziemlich hervorragenden Videospiel „Red Dead Redemption 2“? An der Suche nach einfachen Problemen und klaren Lösungen? Denn obwohl Western bei Kindern angeblich out sind, im Comic-Bereich sprudeln sie derzeit geradezu. Der „Tagesspiegel“ hat kürzlich eine Sammelgeschichte gemacht, und schon jetzt kann man wieder eine schreiben, ohne große Gefahr von Doppelungen. Sechs Titel finden Sie hier, die perfekte Anzahl, wie wir vom glorreichen Halunken Clint Eastwood wissen. Nicht alle sind top, aber jeder hat natürlich seinen eigenen Geschmack. Und jeder Revolver seinen eigenen Klang.


Punkte sammeln mit Nebel

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Illustration: Antonio Hernandez Palacios - Avant Verlag

Antonio Hernandez Palacios wird alt. Nicht schlecht, aber er scheint Mitte der 80er ein bisschen die Lust verloren zu haben. Der dritte „Mac Coy“-Sammelband lässt die absoluten Glanzpunkte vermissen, die aufregend inszenierten Seiten, die völlig aberwitzigen Farbkombinationen. Und die Storys sind immer noch nicht wirklich erstligatauglich. Diesmal pfuscht ihm die Geschichtsbegeisterung besonders deutlich ins Handwerk: Weil Mac Coy ja öfter historische Begebenheiten miterleben muss, wird diesmal deutlich, dass der Held längst über 20 Jahre hätte altern müssen – das wird dann schon etwas sehr wurschtig ignoriert. Aber trotz aller Nörgelei: Noch immer liefert jeder Band von Palacios einen wundervoll zerknitterten, verranzten, staubig verschwitzt stinkenden, authentischen Wilden Westen und gelegentlich auch etwas richtig Neues: Nach einer wundervollen Seite im strömenden Regen verlässt Palacios seine bewährte Strichtechnik. Für drei Seiten im dichten Nebel wechselt er zu Punkten, und das allein ist schon fast wieder den ganzen Band wert.


Mehr Möpse als Kawumms

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Illustration: Paolo Eleuteri Serpieri - Schreiber & Leser

Auf Anhieb erinnert der Stil von Paolo Eleuteri Serpieri ein wenig an Palacios. Und was die Stories angeht, sind sie vergleichbar nichtssagend. Aber Serpieri zeichnet sauberer, und was Action angeht, ist er in „Lakota“ zurückhaltender: Entweder liegt sie ihm nicht, oder er zeichnet einfach gern seitenweise Dialoge. Nachdem die aber mäßig sind und er nicht über allzu viele Inszenierungsideen verfügt, hat man sich rasch sattgesehen. Das hinterlässt eine rechte Enttäuschung, denn vom Untergang General Custers am Little Big Horn erwartet man doch ordentlich Drama und Kawumms. Da ist es nicht ungeschickt, dass Serpieri nie sein Haupt-Standbein vergisst, das Fantasy-Epos Druuna: Bei Serpieri besteht immer die Möglichkeit, dass einfach mal enorme Frauenbrüste ins Bild ragen. Muss man mögen. Paolo Eleuteri Serpieri, Lakota, Schreiber & Leser, 29,80 Euro


Die richtigen Vorbilder sind nicht genug

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Illustration: Olivier, Jérôme & Ann-Claire Jouvray - Schreiber & Leser

Lincoln, ein übellauniger Faulpelz begegnet dem lieben und goldgräberartig verlotterten Gott, der ihm die Unsterblichkeit schenkt und nebenher irgendeine fragwürdige Sache mit dem Teufel laufen hat. Eine Parodie also, und sie klaut bei den richtigen Vorbildern: Jerome Jouvray orientiert sich zeichnerisch an Christophe Blain, sein Bruder Olivier für das Szenario an Lewis Trondheim. Zündet leider nicht, weil: zu viele Konstruktionsfehler. Gott will Lincoln zum guten Menschen und Helden machen, Lincoln stört das aber nicht. Hm. Lincoln will meist seine Ruhe, macht aber doch meist was Gott will. Soso. Es gibt jede Menge Action, aber Lincoln riskiert als Unsterblicher ja nichts. Puh. Dazwischen sorgen ein paar ordentliche Gags und ein paar richtig heftige Szenen für allgemeine Unentschlossenheit. Schade eigentlich, ein neuer Lucky Luke (so wird „Lincoln“ gelegentlich beworben) wäre nett gewesen – aber das ist Lincoln leider nicht. Olivier, Jérôme & Ann-Claire Jouvray, Lincoln, Schreiber & Leser, Bd.1-2, je 14,95 Euro


Rasanter Rollentausch mit Revolver

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Illustration: Dominique Bertail/Arnaud Le Gouëfflec - Schreiber & Leser

Ist das ein Western? Eigentlich ist „Mondo Reverso“ was ganz anderes: Eine Geschlechterdebatte, für die Dominique Bertail und Arnaud le Gouëfflec einfach die angestammten Rollen vertauscht haben. Die Frauen haben die Hosen und die Revolver, die Männer die Kleider. Die Vorurteile sind dieselben, bloß umgekehrt: Männer haben immer Kopfschmerzen, Frauen saufen und furzen. Erstaunlich ist, wie weit Bertail/Gouëfflec mit diesem eigentlich recht banalen Dreh kommen – weil es zeigt, dass vieles bleibt, wie es ist: Die Verunsicherung, sich als Mann oder Frau falsch zu verhalten, die eigene Verblüffung, weil es plötzlich Frauen sind, die sehr detailreich Köpfe wegballern und sich einen Dreck um Männer scheren. Wie gesagt: Ein simpler Dreh, und dennoch ist das Ergebnis überraschend irritierend und häufig auch komisch. Aber ist das ein echter Western? Eher zufällig, das Setting hätte man auch im Weltraum oder im ritterlichen Mittelalter durchspielen können. Die Landschaften sind dennoch sehr ansehnlich geraten, und harte Frauen, die einen Revolver, eine Winchester oder einen Sattel herumtragen, einen vollbärtigen Typ im Kleidchen hinter sich herziehend, all das wirkt natürlich deutlich cooler mit einer Zigarette oder Eastwoods Zigarillo zwischen den Zähnen – und den gibt’s im Weltraum eher selten.



Rache und Radau

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Illustration: Alejandro Jodorowsky/Francois Boucq - Schreiber & Leser

Ein einarmiger Held in einer völlig verwahrlosten Welt: Klingt ein bisschen nach „Für ein paar Dollar mehr“, und es gäbe schlechtere Vorbilder. Leider fehlt jede Doppelbödigkeit, und damit morden und vergewaltigen die Schurken letztlich nur noch, damit es einen guten Grund zur Rache gibt. Das Ganze kommt in hübschen, aber letztlich handelsüblichen Bildern. Nice to have, genauso nice to have not.



Lederstrumpf mit Schatzinsel-Aroma

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Illustration: Hugo Pratt/Hector Oesterheld - Avant Verlag

Klassisch, aber neu: „Corto Maltese“-Schöpfer Hugo Pratt hat die Serie „Ticonderoga“ gezeichnet, von Hector Oesterheld („Eternauta“) stammt die Story um den titelgebenden jungen Waldläufer, die in den 50ern in Argentinien erschien. Wir sind im britisch-französischen Krieg um Nordamerika, Lederstrumpf-Szenario also, aber aus Jungen-Sicht, der „Schatzinsel“-Perspektive. Das ist gleich dreifach gut: Einerseits sympathisch altmodisch, wird andererseits gerade in Anbetracht des jungen Zielpublikums erstaunlich schonungslos gestorben und getötet. Und Pratt tuscht die Action „Prinz Eisenherz“-würdig, Natur und Landschaft mit viel Sinn für großes Kino, und all das in erstaunlich lebendigem schwarz-weiß, obwohl ihm das Querformat anfangs nicht mal Platz für Splashes lässt. Erstmals auf deutsch, schön gebunden, im Schuber mit vielen Extras – Zeit war’s!



Schenken, klar. Comics, logisch. Aber: welche? Sieben Tipps für die Klischeefamilie - und alle, die ganz anders sind.


Was ist der schönste Moment an Weihnachten? Genau, der 27. Dezember, wenn jeder seine Ruhe hat. Dann kann man sich's bequem machen, die Welt leckt einen am Arsch und alle lesen die Comics, die Sie verschenkt haben. Ach so, das ist natürlich blöd für Sie selber. Da hilft nur: Sie verlinken diesen Artikel und schicken ihn an drei gute Freunde, die möchten, dass Sie's am 27. auch schön haben.



Für Vati (will seine Ruhe)

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Illustration: Antonio Hernandez Palacios - Avant Verlag

Vati heult, weil er 50 wird und der neue Asterix nicht mehr so ist wie früher? Dem Mann kann geholfen werden: Der Avant-Verlag hat „MacCoy“ ausgegraben. Den Zeichner Antonio Hernandez Palacios kennt Vati noch von „El Cid“ und „Manos Kelly“, aber „MacCoy“ ist nur kurz erschienen, als Vati sich schon mehr für Mädels interessiert hat. Jetzt, wo Vati wieder Zeit für Comics hat, freut er sich, weil es mehr von dem guten alten Zeug gibt, das er noch versteht: Explosive Action aus sensationellen Perspektiven, weite Landschaften, dass einem die Augen übergehen, und ganz nebenher den besten Pferdezeichner wo gibt. Geschenk überreichen, Glühwein daneben stellen, nicht mehr stören.




Für Mutti (will das Richtige tun)

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Illustration: Paco Rosa - Reprodukt

Altern, Zeit und Vergänglichkeit liegen im Trend. Das kommt denen entgegen, die’s gerne etwas ernsthafter haben. Grade erst empfohlen hab ich dazu Yelin/Steinaeckers "Der Sommer ihres Lebens", immer wieder empfehle ich Roz Chasts "Können wir nicht über was anderes reden", unverdient unbehandelt blieb bislang Paco Rocas „La Casa“. Drei Geschwister besuchen nach dem Tod ihres Vaters sein Wochenendhäuschen, erst einzeln, dann miteinander. Sie probieren, das Haus weiterzuführen – aber ohne den Vater ist es nicht dasselbe. Und jetzt? Verkaufen? In seinem Sinne erhalten? Ist es sinnvoll, das Leben aller Verstorbenen in sein eigenes mit zu überführen? Was gebietet der Anstand, was will die Sehnsucht, was wünscht man sich selbst? All das verhandelt Roca in wunderschönen spätsommerlichen Bildern, die einem den Sonnenschein unter den Weihnachtsbaum zaubern. Sehr treffend, sehr versöhnlich, harmonisch, aber nie harmlos.



Für Opas und Omas (wollen Recht haben)

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Illustration: Keramidas/Lewis Trondheim - Egmont

Sie hätten gern alles heute so wie es früher war. Aber genauso gut, und zwar besser. Kein Problem, dafür hat uns der liebe Gott Lewis Trondheim geschenkt. In „Mickey’s Craziest Adventures“ (keine Angst, Text ist deutsch) hat sich der Starautor mit Zeichner Keramidas Micky Maus und Donald Duck vorgeknöpft. Es ist alles wie immer: Micky und Goofy, Minnie, Donald, Dagobert und Daniel Düsentrieb – und doch ist auch alles anders. Die Geschichte ist Slapstick in doppeltem Tempo, nochmal beschleunigt durch einen erzählerischen Trick: Angeblich handelt sich’s um eine ganz alte Comic-Serie, von der leider nicht mehr alle Seiten erhalten sind, weshalb man mal eben übergangslos von Folge 18 zu Folge 21 katapultiert wird. Liebeserklärung, Persiflage, Nostalgie, alles in einem, wenn man Vorwissen mitbringt. Doch davon haben Opa und Oma ja jede Menge.



Für die noch unkomplizierte Tochter (will Prinzessin werden)

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Illustration: Riad Sattouf - Reprodukt

„Der kleine Nick“ ist ja als guter Franzose nun schon ein paar Jahre im Ruhestand. Und so viel in seinen Abenteuern auch heute noch funktioniert, so viel ist leider auch komplett überholt. Aber es gibt adäquaten Ersatz: „Esthers Tagebücher“ von Riad Sattouf. Wobei „Ersatz“ stark untertrieben ist: Während der kleine Nick sich nur über die Welt der Großen wundert, kann Esther nebenbei ihre Welt so gut erklären, dass sich den erwachsenen Lesern beim Lachen zugleich ein etwas gruseliger Blick auf die künftige Gesellschaft eröffnet. Der erste Comic seit langem, den man wieder seinen Kindern schenkt, um ihn sich schnellstmöglich selber auszuborgen!



Für die nicht mehr unkomplizierte Tochter (will nicht Mutti werden)

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Illustration: Emmanuel Guibert/Joann Sfar - Bocola Verlag

Geschichten, in denen sich Mädchen in junge hübsche Vampire verlieben, sind einfach herzustellen, aber Stories, in denen sich das Mädchen in eine Mumie verliebt? Geht das überhaupt? Das geht und ist sogar herzerwärmend niedlich und verschroben komisch: Dafür bürgt das Skript von Joann Sfar. Die verführerische Optik hingegen stammt von Emmanuel Guibert, der die gediegen-würdevolle Atmosphäre des alten London mit einem sagenhaften Gespür für Bewegungen, slapstickhafte Action und Situationskomik durcheinanderwirbelt. So bildschönen Unsinn gab’s von ihm seither nicht mehr: Die „Tochter“ stammt immerhin schon von 1997. Aber für Mumien ist das natürlich praktisch brandneu.


Joann Sfar/Emmanuel Guibert, Barbara Propach (Üs.), Die Tochter des Professors, Bocola Verlag, 14,90 Euro


Für den Sohn (will das was alle Jungs wollen)

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Illustration: Thomas von Kummant/Benjamin von Eckartsberg - Cross Cult

Mit dem Moped durch die Gegend heizen, flotte Sprüche liefern, Monstern den Kopf wegballern und Mädels angucken: Das klingt wie Material für furchtbaren Trash, aber Thomas von Kummant und Benjamin von Eckartsberg haben daraus in „Gung Ho“ eine richtig gute Coming-of-Age-Saga gebastelt. Fleischfressende Monsteraffen haben die Welt überrannt, die Menschheit rettet sich in befestigte Dörfer, wo die Kids sich eingliedern sollen und lieber rebellieren. Das Ergebnis überzeugt, weil die zwei Vons Action, Erotik, Optik und Dialog nicht blind durcheinander schmeißen, sondern punktgenau und sausouverän einsetzen. Da freut sich der Sohn auch später drüber, wenn Möpse nicht mehr die Hauptsache sind.



Für rundum alle

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Bild: Katharina Greve - Avant Verlag

Mit dem „Hochhaus“ bin ich ja nie recht klargekommen, aber: Was weiß schon ich? Der Webcomic wurde nicht nur von zahlreichen Kollegen gelobt, in Erlangen hat man ihn auch mit dem Max-und-Moritz-Preis als besten Comic ausgezeichnet. 102 Wochen lang hat Katharina Greve je ein Stockwerk dazugezeichnet, manche Episoden beziehen sich aufeinander, manche sind eigenständige Tages-Cartoons. Wer mag, kann das „Hochhaus“ jetzt als Buch verschenken, ich empfehle hier aber explizit: den Rollcomic, der die endlose Scrollfunktion des Internets kongenial in eine durchgehende, ungeschnittene Papierversion übersetzt. Und beim Durchrollen sind mir die zahllosen Wohnungs- und Kücheneinrichtungen aufgefallen, die liebevollen, grellbunten Tapetenvariationen, und die vielen Details machen das „Hochhaus“ auch für Skeptiker wie mich absolut sehenswert…



Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online





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