Zauberhafte Festiwelt
Dieses verfluchte erwachsene Leben: Bastien Vivès verwirrt zwei eigentlich zufriedene Menschen mit einer Festival-Liebelei in Angouleme
Wenn er will, dann macht ihm keiner was vor. Und gerade will er wieder: Bastien Vivès. In „Letztes Wochenende im Januar“ verlässt er sich wieder einmal auf sein unbestritten sensibles Beobachtungs- und Einfühlungsvermögen. Herausgekommen ist: eine bittersüße Romanze, die schwer zu Herzen geht.
Die Schöne und der Zeichner
Vivès siedelt sie in Angouleme an, wo an jedem letzten Wochenende im Januar das berühmteste Comic-Festival der Welt stattfindet. Der Zeichner Denis Choupin trifft ein, ein Mann irgendwo zwischen 40 und 50, Haare noch dunkel, aber dünner werdend. Beatlesfrisur, furchtbarer Schnurrbart, Pilotenbrille, ein Hingucker ist Choupin nicht. Und das Festival ist für ihn Routine, fast schon Langeweile, als eine hübsche Ärztin sich einen Band von ihm signieren lässt: für ihren Mann.
Später wird Choupin vom (Comic-Rennfahrer Michel Vaillant ähnelnden) Ehemann angesprochen, der sich bedankt und ihn zum Essen einlädt. Choupin sagt zu und verguckt sich dabei in die zurückhaltende Frau. Man hätte ab hier auch eine schöne Komödie draus machen können: Man könnte Choupin zwischen Hoffen und Bangen zeigen können. Kennt man doch: Immer kommt irgendwas dazwischen, und dann macht er sich zum Narren für diese Schöne, von der er noch nicht mal weiß, ob’s zu was führt. Aber Vivès wählt die schwierigere Variante.
„Ihr seht aus wie irgendwie Vintage“
Er zeigt den Messe-Alltag, die Einsamkeit, die „Mensch-du-auch-hier?!“-Szene. Die totzuschlagende Zeit zwischen den Veranstaltungen. Natürlich laufen Ehepaar und Zeichner sich in der kleinen Festiwelt wieder über den Weg. Und damit die Ärztin dem faden Zeichner näherkommt, nutzt Vivès einen einfachen Trick: Der Ehemann tanzt nicht gern und quatscht lieber mit den allgegenwärtigen Comic-Künstlern. Choupin hingegen tanzt: „Sehr schlecht, aber sehr gern.“ Beide seilen sich ab, fremdeln mit Party-Jungvolk, trauen sich dann doch auf die Tanzfläche. Sie kriegen sogar sowas wie ein Kompliment: „Ich finde euch beide einfach goldig, ihr seht aus wie irgendwie Vintage. Aus den 70ern.“ Derart gelobt gehen sie durch die Nacht, es gibt einen intensiven Kuss – dann findet sich Michel Vaillant wieder ein und entschwindet mit seiner Frau in der Dunkelheit.
Vivès zeigt den Abend mit wenigen Worten, vielen Blicken, Momenten. Das verlegene Herumstehen, das zaghafte Gucken und Plaudern, das allmähliche Tanzen, immer wieder begeistert, wie Vivès Bewegungen und Stimmungen einfängt und auf ein paar Striche und Schatten reduziert. Ein Minimum an Zeichnung, ein Maximum an Wirkung.
Minimale Zeichnung, maximale Wirkung
Der Zauber dieser Nacht ist unwiderstehlich: Natürlich ist Choupin verheiratet, so glücklich, wie es gar nicht mal so normal ist. Und auch die Ärztin denkt nicht im Geringsten daran, ihren Mann zu verlassen. Außerdem muss Choupin zum Zug. Aber die Leichtigkeit des Festivals, dieser plötzliche Einbruch des Unerwarteten, die Sehnsucht nach dem Neuen oder Anderen oder doch wenigstens nach der Unschuld und Unverbindlichkeit der Jugend – all das packt Vivès in die kommenden 60 Seiten, ohne dabei sehr auf die Tränendrüse zu drücken: Und vielleicht macht gerade das es so schwer, bis zum Finale trockenen Auges durchzuhalten.
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