Ein Wiedersehen mit der Kunst des verstorbenen Friedrich Karl Waechter: Diogenes veröffentlicht aus dem Nachlass des Neuen Frankfurter Schülers den „Höllenhund“
Schon auf der ersten Seite wird klar, wie sehr man ihn vermisst hat: Friedrich Karl Waechter. 2005 ist er gestorben, auch schon wieder dreizehn Jahre her – dann sieht man dieses Titelbild, dieses Mädchen aus ein paar dünnen Strichen und viel sehr effektiv eingesetzten Tuscheschatten, und wie sie so dasteht, wie Waechter nur mit Miene und Haltung praktisch alles offenbart, sie gutartig zeigt, aber nicht zu aufgeweckt, da denkt man sich: Menschmenschmensch, den Waechter, den hätte man gerne noch länger da behalten. Da ist es natürlich schön und verdienstvoll, dass der Diogenes-Verlag ein wenig im Waechterschen Nachlass gekramt hat und jetzt den „Höllenhund“ veröffentlicht.
Ein Comic im eigentlich Sinne es nicht, aber Waechter war immer schon ein Grenzgänger, der eher en passant immer wieder in den Comicbereich hineingeschnuppert hat. Meine Eltern hatten ihn Ende der 70er, Anfang der 80er irgendwann plötzlich im Schrank, und was da in diesem Band mit dem eigenwilligen Titel „Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“ zu sehen war, das war nichts weniger als eine Offenbarung.
Komische Kunst - aber anders als Loriot
Es war eindeutig Kunst, klar, das Buch stand ja auch zwischen den Kunstbänden, aber es war eine andere, eine zweifelsfrei komische Kunst. Allerdings war sie nicht so leicht einzuordnen und stilistisch wesentlich vielfältiger als Loriot, der bis dahin in diesem Premium-Cartoon-Segment so ziemlich allein war. Auch die Pointen von Waechter waren nicht so eindeutig: Unter dem Bild einer Eule im Pulli stand, diese Eule hätte „zum Fest einen Norwegerpullover bekommen“ und sei nun „einer der schicksten Vögel im Walde“.
Ein Schwein, das sich an einer Häuserfassade entlang tastet und dabei „Käsekuchen Käsekuchen Käsekuchen Käsekuchen“ ruft. Eine Frau, die in 18 Panels verzweifelt versucht, bei starkem Wind unter ihrem Bademantel einen Badeanzug anzuziehen. Die „11 bekanntesten Stellungen bei der Selbstbefriedigung des Mannes“ hab ich sofort begeistert hinten ins Klassenzimmer gehängt, was auch deshalb möglich war, weil Waechter nicht nur einen eigenwilligen Mix aus Nonsens und Pathos bot, sondern weil er es zeichnerisch einfach unwiderlegbar drauf hatte.
Zart wie Sempé, deftig wie Busch
Das war eben nicht nur Komik oder Klamauk, das war einwandfrei auch künstlerisch, mal zart wie Sempé, mal deftig wie Wilhelm Busch, absurder als beide zusammen und wundervoll boshaft dazu. Die Magie dahinter klärte sich mir erst später auf: Waechter kam aus der Neuen Frankfurter Schule, er hatte vorher mit einem gewissen F. W. Bernstein und einem noch gewisseren Robert Gernhardt zusammengearbeitet, und noch mit manch anderen Leuten. Die hatten einerseits so clevere Sachen wie die Zeitungsparodie „Welt im Spiegel“ erarbeitetet, aber auch keine Berührungsängste mit einem Otto Waalkes, der vieles davon später fürs große Mainstreampublikum verwursten durfte und bis heute konserviert.
Der „Höllenhund“ lässt einen nochmal mit bittersüßer Wehmut in diese wahnwitzige Werkstätte hineinschnuppern, wenn auch in einen sehr speziellen Bereich. Waechter hat hier ein Theatermärchen fabriziert, ein Märchen als Theaterstück, er hat das zuvor schon mehrfach getan, in diesem Fall nach der Vorlage „Der Bärenhäuter“ der Gebrüder Grimm: Als ein sterbender Soldat den Höllenhund des Teufel erschießt, schließt der mit ihm einen Deal – sieben Jahre lang darf er sich weder waschen noch die Nägel schneiden noch sonst was, er muss sieben Jahre lang mit der Haut des Höllenhundes herumlaufen, dann aber, wenn er durchhält, wird er frei und reich sein und der Teufel selbst wird ihn schön herausputzen.
Sparsame Striche - und doch alles drin
Die eigentliche Leistung ist naheliegenderweise nicht die eher zahme Verarbeitung des Märchens, es sind die Illustrationen dazu. Diese unglaubliche Effizienz. In vier Panels zieht der Soldat dem Höllenhund die Haut ab, da stimmt alles, Haltung, Mühe, Schweiß, und das alles mit so wenig Strichen, als müsste Waechter die Tusche beim Teufel selbst kaufen und mit Seelenkrümeln bezahlen. Die nächste Doppelseite, der Soldat wandert einsam durch eine Baumlandschaft im Wind, ein unglaublich eleganter Umgang mit Schwarz und Weiß, Waechter zeichnet keine Umrisse, nur die Schattenseiten, den Rest bastelt sich das Auge selbsttätig zurecht.
Zwei Bauernmädchen im Bett, luftig und präzise hingepinselt, das Bauernhaus mitsamt dem Zaun drumrum im gleißenden Mondlicht, das ist so hübsch, dass es wehtut: Weil beim Bewundern klar wird, dass es davon eben nicht noch mehr geben wird – Waechter kam selbst nicht mehr dazu sie fertigzustellen, man darf wohl davon ausgehen, dass weiteres aus dem Nachlass eher noch unvollständiger sein wird. Da hilft nur: Die „Glückliche Stunde“ zur Hand nehmen, oder eben „Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“, möglichst großformatig, nicht im Taschenbuchformat, klar, dann ein Glas Rotwein füllen und auf Herrn Waechter leeren. Ach je.
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.
Kleine Story, große Kraft und ein Hauch Sempé: Mit sanfter Bosheit zeigt die Graphic Novel „Ideal Standard“ was eine moppelige Frau mit Christian Lindner verbindet
Das Private ist politisch, haben die 68er gepredigt – oder war’s andersrum? Das Ziel war meiner Erinnerung nach jedenfalls, dass man den Sozialismus auch daheim am Esstisch durchsetzen muss oder so. Ich unterschreibe das ausdrücklich nicht, und trotzdem erscheint mir der Satz vom politischen Privaten plötzlich ziemlich einleuchtend. Weil ich gerade „Ideal Standard“ gelesen habe, eine harmlos daherkommende Graphic Novel von Aude Picault, die es klammheimlich in sich hat. Behaupte ich jetzt mal.
Unbedingt paarbereit
„Ideal Standard“ erzählt die Geschichte der Säuglingskrankenschwester Claire. Sie ist mittelhübsch, mollig, brave Frisur, Birnenfigur, Mitte 30, Single und sie wäre gerne: couple. Wir treffen sie erstmals morgens im Badezimmer beim Schminken, bei all den Verrenkungen, vor denen man als Mann aus dem Bad geschmissen wird, aber Zeichnerin Picault kennt sie natürlich selber und karikiert sie so mitfühlend wie möglich, so boshaft wie nötig. Eine feine Gratwanderung, und nach den acht kleinen, sempéhaften Zeichnungen der ersten Seite weiß man eine Menge über Claire, ihre Zweifel an ihrem Aussehen und an sich selbst. Zwei Seiten später hat sich Claire ein Date geangelt, aber es bleibt ein One Night Stand und nicht bei dem einen. Claire probiert viele Männer aus, Aude Picault gratwandert einfühlsam und boshaft weiter durch ein ziemlich bewegtes Sexleben, aber: Keiner der Männer bleibt. Weshalb Claire sich noch mieser fühlt. Bis Franck auftaucht.
Der ist normal nett, zieht mit ihr sogar zusammen und endlich kann Claire all die Dinge tun, die andere Paare auch machen: Wohnung einrichten, in Urlaub fahren, jemanden haben, den man zu Partys mitbringt. Aber die Beziehung nützt sich ab, Claire wird schwanger, treibt ab und trennt sich von Franck, um (obacht, Spoiler) zufrieden allein in eine kleine Wohnung zu ziehen. Und so gewöhnlich all das ist, so ungewöhnlich ist es auch. Denn wie läuft’s denn in Film, Buch, Comic normalerweise?
Wie "Bridget Jones" – und doch ganz anders
Entweder sind die Männer rücksichtslose Arschlöcher, von denen sich die Frau befreit: Das ist hier nicht so. Okay, Franck und die Männer sind nicht sehr sensibel, aber Claire und die Frauen lassen sich auch viel gefallen. Hübsches Beispiel: Der erste Besuch bei den Schwiegereltern – es wird über den gemeinsamen Urlaub geredet, den Francks Mutter einfordert. Jeder weiß sofort: Franck will keinen Zoff mit seinen Eltern, also wird Claire im Sommer bei ihnen aufschlagen, wenn sie nichts dagegen tut. Claire wehrt sich nicht – so geht’s dahin.
Die Alternative zur befreiten Frau ist üblicherweise der richtige Mann. Claires Geschichte ist ja auch ein bisschen „Bridget Jones“. Doch anders als bei Bridget liegt die Lösung eben nicht in „Daniel Cleaver oder Mark Darcy“, sondern in: Claire solo. Wer will, kann das jetzt für den soliden Schluss eines emanzipierten Comics halten und mehr nicht. Ich glaube aber, dass mehr drin steckt. Weil das Private politisch ist. Denn wir leben derzeit in einer Welt voller Claires – und nur die Hälfte von ihnen ist weiblich.
Die Welt ist voller Claires
Claire tickt wie viele Menschen: Sie protestiert nicht gegen den Urlaub, weil sie keine Trennung riskieren will. Sie braucht das „Paar“-Etikett, weil man als Teil eines Paares was Besseres ist. Singles sind ungeliebt, Paarmenschen können vorzeigen, dass mindestens eine Person sie begehrt. Und dieser Hang zu Beweisen für das eigene, bessere Leben begegnet uns heute mehr denn je.
Unser Leben ist so interessant, dass wir es öffentlich machen müssen, alles was wir tun, müssen wir allen Freunden gleichzeitig erzählen: das bescheinigt uns das Etikett „Facebook“-Seite. Der Urlaub war grandios: das bescheinigen unsere gefaketen Urlaubsfotos. Wir sind sexy, knallhart, einfühlsam und unkonventionell: Das bescheinigt unsere Tätowierung, die aussieht wie hundert andere Tattoos. Wohn- und Verkaufsräume sind sauber und angenehm: Das bescheinigt der Industrieduft aus dem Verdunster. Wer sucht, findet beliebig viele Beispiele dafür, dass es heute schwerer und riskanter denn je ist, nicht so zu sein wie es alle gerne wären. Claire hat die Nase gestrichen voll davon und sagt: Scheiß aufs Etikett. Hut ab.
Okay, vielleicht interpretiere ich ein bisschen zuviel rein. Dann bleibt immer noch ein sehr einfühlsamer Comic, mit sparsam, aber geschickt eingesetzten Farben, mit viel Sinn für die richtige Beobachtung im richtigen Moment. Und wenn ich nicht Recht haben sollte, bitte ich doch wenigstens um eine überzeugende Antwort auf folgende Frage: Worin besteht dann der Unterschied zwischen Claires skeptisch-ängstlichem Blick in den Spiegel auf ihren Arsch und dem von Christian Lindner auf seine Haare?
Aude Picault, Ideal Standard, Reprodukt, 24 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.