Ein Horrorfisch und eigenwillige Folterwitze: Manche Idee klingt überzeugender als ihre Umsetzung – die Outtakes (2)

Fish out of water
Leidlich angespaßt, jedoch recht vorhersehbar: „Grizzlyshark“ ist einerseits eine Splatterparodie, die Haie im Wald blutreich zubeißen lässt. Andererseits kann sich der Comic nicht gegen die Faszination der Haie und Bären wehren. So sind die Gags letztlich nur Vorwand für absurd-aufregende Pics: ohne Hai wären die Gags nicht stark genug, aber mit Hai sind sie eigentlich überflüssig. Weshalb der Spaß sehr schnell nachlässt und sich aufs „Krass, Alter, schau dir das an!“ beschränkt.
Ryan Ottley, Bastian König (Üs.), Grizzlyshark, Cross Cult, 18 Euro
Hübsch, aber ohne Härte

Die Arbeit des Duos Kerascoët muss sich leider immer wieder an „Jenseits“ messen lassen, bei dem Marie Pommepuy und Sébastien Cosset ihre niedlichen Zeichnungen mit einer exzellent greulichen Geschichte konterkarierten. Das ist ihnen seither nicht mehr gelungen, und auch „Mit Mantel und Worten“ (Text: Flore Vasco) ist zwar immer wieder schön anzusehen, lässt aber Doppelbödigkeit vermissen.
Erzählt wird das Abenteuer eines cleveren, einfallsreichen Mädchens, das sich am Hof der französischen Königin gegen allerlei Intrigen durchsetzt. Ungewöhnlich ist neben einigen erotischen Anspielungen vor allem eine schwarzhumorige Zutat in Form von Folterwitzen. Denn die wirken angesichts einer weltweiten Folterrenaissance wie eine recht orientierungslose Provokation. Insgesamt ein schöner, optisch oft an Sempé erinnernder Band, der dennoch zwischen brav und boshaft auf halber Strecke versumpft.
Gut gespart, Löwe!

So lass ich mir den Computer eingehen: Für „Zur Sonne“ nutzt Matthias Lehmann gerade nicht die Opulenz der Möglichkeiten, sondern er spart an allem. Keine Farben, viel Weiß, einige Linien, viele großflächige Schatten, die fünf versammelten Episoden sehen schon sehr schön aus, geradezu bastienviveshaft. Leider sind die Storys um Kneipenwirt Frank nicht so interessant wie ansehnlich. Schon klar, das Große im Kleinen und so, aber ein bisschen was sollte einen schon reinziehen. Ich gebe aber zu: Normale Leute machen normale Sachen, das ist als Thema schon eine von den härteren Nüssen.
Freundlich nur für Follower

Sind furchtbare Töchter im Trend? In „Höre nur, schöne Márcia“ gab’s grade eine, die nächste findet sich in Aude Picaults „Amalia“: Benimmt sich wie der Rotz am Ärmel, und kann nur dann freundlich sein, wenn sie Schminktipps für ihre paar Follower ins Internet stellt. Aber auch Amalia und ihr Mann jagen in „Amalia“ einem seltsamen Glück der Perfektion nach. Aude Picault hat das bereits mit dem gut beobachteten „Ideal Standard“ thematisiert, doch diesmal gelingt es ihr nicht so gut – auch, weil in der sympathisch gezeichneten Geschichte vieles zu plakativ daherkommt. Wenn Amalias Mann unter dem furchtbaren Industriebrot seiner Fabrik leidet, soll er halt irgendwo Ökobrot backen. Wenn Amalia Stress hat, soll sie halt lernen, auch mal „nein“ zu sagen. Während „Ideal Standard“ geschickt die persönliche Entwicklung der Hauptfigur aufzeigte, repariert „Amalia“ alles, als läge für jedes Problem der passende Tesafilm einfach herum.
Aude Picault, Lilian Pithan (Üs.), Amalia, Reprodukt, 24 Euro
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Kindercomics-Test (11): „Die schreckliche Adele“ sorgt für Stirnrunzeln – doch Julia (auch 11) vermisst etwas anderes

Tough, schlagfertig, unerschrocken: Auf Anhieb spricht eine Menge für „Die schreckliche Adele“, eine Kinderserie. Diesmal wird Adele eine Märchenzuckerwelt voller Prinzessinnen und Einhörner aufmischen, und das klingt ja prinzipiell gut. Aber an der Oberfläche kratzt man besser nicht.
Der Konsumtraum: Cocktails plus Shopping
Denn woran erkennt Adele diese Märchenwelt als Märchenwelt? Daran, dass Mädchen zum Friseur gehen, im Pool Cocktails schlürfen und shoppen. Hinter dem Traum steckt zwar ein harter Prinzessinnenwettbewerb, doch das Konsum-Ideal selbst ist für sie okay. Nehm ich mal so staunend zur Kenntnis.
Noch ärgerlicher ist, was Adele so sauer macht: Dass die Prinzessinnen den harten Wettbewerb mitmachen müssen, wohingegen die Prinzen den ganzen Tag nur spielen und von Feen bedient werden. Woraufhin Adele erstmal die Prinzen an- und ihre Hilfsfeen vergiftet (!), denn: „Lernt endlich, wie man Essen zubereitet und Unterhosen wäscht!“ Was einerseits ein berechtigter Wunsch ist, aber:
Wer bekocht eigentlich Adele?
Wer wäscht ihre Unterhosen?
Was würde Pippi Langstrumpf tun?
Kann es sein, dass Adele nur sauer ist, weil es sich andere noch bequemer gemacht haben? Warum verzichtet sie nicht einfach auf den Prinzessinnen-Contest? Was hätte Pippi Langstrumpf getan? Jedenfalls hat die nie Tommy und Annika ihre Idee von Unterhosenreinigung aufs Auge gedrückt, obwohl sie ihre Wäsche tatsächlich selbst erledigte. Und Julia?
Das mit der Gerechtigkeit leuchtet ihr sofort ein. Die einen brauchen Schmunzelpunkte, die anderen nicht, das ist wirklich unfair. Trotzdem wäre sie nicht lieber bei Adele: Denn „die ist immer schlecht gelaunt.“ Noch schlimmer: In dem ganzen Comic findet Julia keine sympathische Figur außer dem Oger Fleckweg (dessen Dauergag der Comic-Gelehrte Steve Martin 1982 hier erläuterte).
Irgendwas läuft hier völlig falsch
Dabei sieht Adele gut aus: Julia mag die Zeichnungen, und ihr lesemuffliger jüngerer Bruder hat den Band freiwillig aufgeklappt und immerhin angefangen: „Adele“ ist knallbunt, schwungvoll gezeichnet, nicht zu brav, nicht zu irritierend, direkt disneytauglich. Aber trotzdem läuft hier offenbar etwas grundfalsch. Als ich Julia nach der besten Stelle im Comic frage, sagt sie verblüffend schonungslos: „Das ist wieder Fleckweg. Das war das Beste, was ich noch finden konnte.“
Die beste Stelle: s.o.
Die niedlichste Stelle: Entfällt, weil: „Das war das einzige, was mir gefallen hat.“
Julias Entscheidung

Also gut, „Alldine“ bleibt an der Tabellen-Spitze wie der FC Bayern. „Adele“ ist kein Top Drei-Material, das kann schon mal vorkommen. Aber was dann passiert, war nicht vorherzusehen...
1. Alldine & die Weltraumpiraten
2. Das unsichtbare Raumschiff
3. Zack!
4. Witches of Brooklyn
5. Hugo & Hassan forever
6. Boris, Babette und lauter Skelette
7. Hände weg von unserem Wald!
8. Trip mit Tropf
9. Willkommen in Oddleigh
10. Karl der Kleine: Printenherz
11. Superglitzer
12. Die schreckliche Adele
... wird natürlich fortgesetzt
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Ein Wiedersehen mit der Kunst des verstorbenen Friedrich Karl Waechter: Diogenes veröffentlicht aus dem Nachlass des Neuen Frankfurter Schülers den „Höllenhund“

Schon auf der ersten Seite wird klar, wie sehr man ihn vermisst hat: Friedrich Karl Waechter. 2005 ist er gestorben, auch schon wieder dreizehn Jahre her – dann sieht man dieses Titelbild, dieses Mädchen aus ein paar dünnen Strichen und viel sehr effektiv eingesetzten Tuscheschatten, und wie sie so dasteht, wie Waechter nur mit Miene und Haltung praktisch alles offenbart, sie gutartig zeigt, aber nicht zu aufgeweckt, da denkt man sich: Menschmenschmensch, den Waechter, den hätte man gerne noch länger da behalten. Da ist es natürlich schön und verdienstvoll, dass der Diogenes-Verlag ein wenig im Waechterschen Nachlass gekramt hat und jetzt den „Höllenhund“ veröffentlicht.
Ein Comic im eigentlich Sinne es nicht, aber Waechter war immer schon ein Grenzgänger, der eher en passant immer wieder in den Comicbereich hineingeschnuppert hat. Meine Eltern hatten ihn Ende der 70er, Anfang der 80er irgendwann plötzlich im Schrank, und was da in diesem Band mit dem eigenwilligen Titel „Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“ zu sehen war, das war nichts weniger als eine Offenbarung.
Komische Kunst - aber anders als Loriot
Es war eindeutig Kunst, klar, das Buch stand ja auch zwischen den Kunstbänden, aber es war eine andere, eine zweifelsfrei komische Kunst. Allerdings war sie nicht so leicht einzuordnen und stilistisch wesentlich vielfältiger als Loriot, der bis dahin in diesem Premium-Cartoon-Segment so ziemlich allein war. Auch die Pointen von Waechter waren nicht so eindeutig: Unter dem Bild einer Eule im Pulli stand, diese Eule hätte „zum Fest einen Norwegerpullover bekommen“ und sei nun „einer der schicksten Vögel im Walde“.
Ein Schwein, das sich an einer Häuserfassade entlang tastet und dabei „Käsekuchen Käsekuchen Käsekuchen Käsekuchen“ ruft. Eine Frau, die in 18 Panels verzweifelt versucht, bei starkem Wind unter ihrem Bademantel einen Badeanzug anzuziehen. Die „11 bekanntesten Stellungen bei der Selbstbefriedigung des Mannes“ hab ich sofort begeistert hinten ins Klassenzimmer gehängt, was auch deshalb möglich war, weil Waechter nicht nur einen eigenwilligen Mix aus Nonsens und Pathos bot, sondern weil er es zeichnerisch einfach unwiderlegbar drauf hatte.
Zart wie Sempé, deftig wie Busch
Das war eben nicht nur Komik oder Klamauk, das war einwandfrei auch künstlerisch, mal zart wie Sempé, mal deftig wie Wilhelm Busch, absurder als beide zusammen und wundervoll boshaft dazu. Die Magie dahinter klärte sich mir erst später auf: Waechter kam aus der Neuen Frankfurter Schule, er hatte vorher mit einem gewissen F. W. Bernstein und einem noch gewisseren Robert Gernhardt zusammengearbeitet, und noch mit manch anderen Leuten. Die hatten einerseits so clevere Sachen wie die Zeitungsparodie „Welt im Spiegel“ erarbeitetet, aber auch keine Berührungsängste mit einem Otto Waalkes, der vieles davon später fürs große Mainstreampublikum verwursten durfte und bis heute konserviert.
Der „Höllenhund“ lässt einen nochmal mit bittersüßer Wehmut in diese wahnwitzige Werkstätte hineinschnuppern, wenn auch in einen sehr speziellen Bereich. Waechter hat hier ein Theatermärchen fabriziert, ein Märchen als Theaterstück, er hat das zuvor schon mehrfach getan, in diesem Fall nach der Vorlage „Der Bärenhäuter“ der Gebrüder Grimm: Als ein sterbender Soldat den Höllenhund des Teufel erschießt, schließt der mit ihm einen Deal – sieben Jahre lang darf er sich weder waschen noch die Nägel schneiden noch sonst was, er muss sieben Jahre lang mit der Haut des Höllenhundes herumlaufen, dann aber, wenn er durchhält, wird er frei und reich sein und der Teufel selbst wird ihn schön herausputzen.
Sparsame Striche - und doch alles drin
Die eigentliche Leistung ist naheliegenderweise nicht die eher zahme Verarbeitung des Märchens, es sind die Illustrationen dazu. Diese unglaubliche Effizienz. In vier Panels zieht der Soldat dem Höllenhund die Haut ab, da stimmt alles, Haltung, Mühe, Schweiß, und das alles mit so wenig Strichen, als müsste Waechter die Tusche beim Teufel selbst kaufen und mit Seelenkrümeln bezahlen. Die nächste Doppelseite, der Soldat wandert einsam durch eine Baumlandschaft im Wind, ein unglaublich eleganter Umgang mit Schwarz und Weiß, Waechter zeichnet keine Umrisse, nur die Schattenseiten, den Rest bastelt sich das Auge selbsttätig zurecht.
Zwei Bauernmädchen im Bett, luftig und präzise hingepinselt, das Bauernhaus mitsamt dem Zaun drumrum im gleißenden Mondlicht, das ist so hübsch, dass es wehtut: Weil beim Bewundern klar wird, dass es davon eben nicht noch mehr geben wird – Waechter kam selbst nicht mehr dazu sie fertigzustellen, man darf wohl davon ausgehen, dass weiteres aus dem Nachlass eher noch unvollständiger sein wird. Da hilft nur: Die „Glückliche Stunde“ zur Hand nehmen, oder eben „Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“, möglichst großformatig, nicht im Taschenbuchformat, klar, dann ein Glas Rotwein füllen und auf Herrn Waechter leeren. Ach je.
Friedrich Karl Waechter, Der Höllenhund, Diogenes, 24 Euro
Friedrich Karl Waechter, Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein, Diogenes, ab 15 Euro
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.