- 23. Aug.
Perlen aus der Nische statt abgehangene Best-of-Parade: Ralf König gönnt sich und den Comic-Fans zum 65. einen Geburtstags-Band

Sowas empfehle ich eigentlich eher ungern: Ein Buch über einen einzelnen Comic-Autor. Weil ja oft Leute finden: „Lesen reicht. Wie der seinen Kram herstellt, ist mir schnurz.“ Dieses Buch verbindet aber Neues von „seinem Kram“ mit einem munter plaudernden Interview zu einer arg unterhaltsamen Mischform: „Pflaumensturz und Sahneschnitten“ von Ralf König mit hilfreicher Hand von Comic-Journalist Alex Jakubowski.
Perlen aus der Nische
Anlass ist Königs 65. Geburtstag, und dankenswerter Weise hatte der Jubilar keine Lust auf eine gut abgehangene Best-of-Witzeparade. Aber es schlummerte einiges in übersehenen Nischen. Wie die Serie „Spargel“, die König in einem schwulen Gratisblatt veröffentlichte –wer das nicht in die Finger kriegte, hatte bisher halt Pech. 100 Seiten sind drin, bisher noch nie auf Deutsch in Buchform veröffentlicht. Woraus Skeptiker gern schließen, dass das Zeug halt nicht sooo toll sei. Was uns zur Besonderheit namens „Ralf König“ bringt.

Ist ein bisschen wie bei Dennis Chambers. Kennen Sie den?
Sitzt Chambers am Schlagzeug, kriegt man stets grandioses Handwerk und oft geniale Momente. Aber nie: lauwarmen Mist. So etwa muss man sich König wohl vorstellen, nur nicht am Schlag-, sondern am Schreibzeug: Die Kreativmaschine läuft zuverlässig und auf dieser Grundlage lotet er hellwach alle Möglichkeiten aus. Mit Pointen fing es Anfang der 80er an, die er rasch mit unerbittlicher Präzision ausarbeitete, aber seit längerem transportiert er Nachdenkliches und sogar Tragisches genauso zwingend. Und dazwischen? Gibt es ein „Dazwischen“ bei Dennis Chambers?
Lauwarm langweilt
Wir reden hier von Leuten, die Lauwarmes selber langweilt. Also liefern sie Kunst auf Kochtemperatur: Blasen tauchen da nicht zufällig oder gelegentlich auf – das fortwährende Blubbern ist der eigentliche Vorgang. Die einzigen Grenzen bestehen darin, dass Chambers nie Geige spielen wird, und König – äh, da fehlt mir jetzt die Analogie, aber geigen wird er wohl auch nicht.

Zu quengeln gibt's kaum. Das Interview mit Jakubowski ist eventuell ein wenig systematisch geraten, doch es liest sich leicht, mit wenig Fachsimpelei und wird obendrein flott bebildert und abwechslungsreich layoutet. Zudem nimmt sich Jakubowski klug zurück, lässt König sprudeln, weil er weiß, dass der vor allem einen sachkundigen Stichwortgeber braucht. So kommt alles frisch aus Tapet, inklusive Königs Vorbildern, von denen allenfalls James Finlayson fehlt. Oder das Lob für den Innovator König, der meines Wissens die umgebogene Panel-Ecke oben links zum eleganten Symbol für „neue Szene“ entwickelte, wenn nicht gar erfand.
Beängstigend präsidententauglich
Die Mischung aus frechem Witz, schwuler Selbstironie und dezent angedeuteter Altersweisheit führt dazu, dass König so beängstigend sympathisch rüberkommt, dass man fast unwillkürlich beginnt, ihn sich als Bundespräsidenten zu wünschen. Das geht aber vorbei. In jedem Fall trägt die lockerpikante Stimmung entspannt durch die rund 200 Seiten. Und während derlei Fachliteratur sonst mehr was für Nerds ist, können Comic-Normalos Königs Protagonisten und Pimmel hier so gut genießen wie kennenlernen.
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- 28. Aug. 2024
Die Outtakes (18): Ein kauziger Monster-Entdecker, ein lausiger Einparker und ein kulturreiches Katzenversteck

Halbwitzig, aber harmlos
Auauau, das wird nichts mehr mit dem Bruno Duhamel und mir. Warum? Weil Duhamel gerne mal ernste Themen behandeln will, sie sich aber so rohrzangenhaft zurechtquetscht, dass alles zu spät ist. Im letzten Band „Niemals“ eiferte er den „Alten Knackern“ nach, erfand aber eine toughe Oma, die zwar auch noch blind sein musste, aber wundersamer Weise so gut mit allem zurechtkam, dass man die Story genauso gut einer sehenden Sportskanone hätte zuschreiben können. „Erstkontakt“ soll jetzt offenbar medienkritisch werden. Ein Alien/Loch-Ness Monster wird von einem verschrobenen Fotokünstler abgelichtet. Dass er verschroben ist, merkt man daran, dass er seine Bilder am liebsten nicht zeigt. Dass Duhamel seine Figuren egal sind, merkt man daran, dass ausgerechnet dieser Künstler seine Bilder erst ins Netz stellt (!) und sich dann über die Resonanz beschwert (!!). Da hab ich dann auch keine Lust mehr weiterzulesen. Aber wenn Sie an Comics das störungsfreie Dahinplätschern im harmlosesten frankobelgischen Halbwitzigstil mögen: Greifen Sie zu.
Munter mit kleinen Macken

Okay: Das hier ist schon irgendwie ein Outtake und gleichzeitig auch wieder keiner. Keiner, weil: Maurizio Onano eine muntere schwule Erzählweise jenseits von Ralf König gefunden hat: Eine Art Dauerseufzen, das aber den/die Fehler weniger bei anderen sucht und dafür mehr bei den eigenen Macken verortet. Das ist schon recht lustig, keine Frage. Und das nicht nur, wenn zwei lästernde Frauen Onanos Helden Fabian beim Einparken zusehen. Zum Outtake wird's, weil Nichtschwule nicht ganz so könig-lich einfach andocken können: die Probleme sind ein bisschen speziell, und die immer leicht melancholisch-resignative Grundhaltung könnte man auch mit einem „Deine Sorgen möchte ich mal haben“ abtun.
Was ja genau der eigentliche Witz ist - oder eben nicht.
Maunz-Overkill

Was predige ich immer und immer wieder? Genau, folgen Sie dem Autor. Wenn Sie das bei Taiyo Matsumoto gemacht haben, sind Sie schon auf die liebenswerten Brutalokinder von „Tekkon Kinkreet“ gestoßen, auf die hemmungslosen Waisen von „Sunny“ und das Tischtennis-Drama „Ping Pong“. Aber „Die Katzen des Louvre“, da weiß ich echt nicht. Es geht um Katzen, die Phantom-der-Oper-haft heimlich im Louvre wohnen, gelegentlich halbmenschenkinderform annehmen (wenn sie unter sich sind), manchmal in die Bilder hineinspringen… Ja, schon klar, das hat manchmal poetische Momente, aber insgesamt wirkt der Sud aus Kinder, Katzen, Kunst, Eiffelturm, Magie wie ein Fegefeuer der Niedlichkeiten, bei dem man die zärtlichen Vampire vergessen hat. Wobei: vielleicht ist der maunzige Reiz-Overkill für Andere ja genau das Richtige.
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- 30. Mai 2023
Comeback für Robert Deutschs „Turing“ und Robert Crumbs „Mr. Natural“. Doch beide Bände haben ihre Tücken – ein Beipackzettel

Alan Turing kennen Sie, oder? Vom Hollywood-Blockbuster mit Benedict Cumberbatch? Der britische Mathematiker, der im Zweiten Weltkrieg die legendäre deutsche Chiffriermaschine „Enigma“ geknackt hat? Der zu einer Zeit schwul war, in der man es nicht sein durfte? Der sich dann dieser grauenhaften Hormontherapie unterzog? Großes Dramamaterial, aus dem Robert Deutsch 2017 eine sehenswerte Graphic Novel machte.
Drama für Genuss-Seher
Wunderschöne Farbkombinationen, ganzseitige Splashes, da will das Auge drin gewälzt sein wie ein Schnitzel in der Panade. Deutsch kommt auf diesen Seiten immer wieder ganz nahe an Brecht Evens ran, da ist es kein Wunder, dass die (sehr oft erfreulich gut orientierte) Berthold Leibinger Stiftung ihn förderte. Zwei Designpreise hat er auch noch abgeräumt, völlig zu Recht.
Aber.

Deutsch ist kein Erzähler. Oder will keiner sein: Dass Turings Homosexualität mehr im Focus steht, ist okay – aber die Story, die auch mit dieser Betonung mindestens voller Ängste, Heimlichkeiten, Lüste sein könnte, ist oft so langsam, fast dröge, dass man sich angesichts der wunderbaren Bilder die Augen reibt und zurückblättert, ob man nicht irgendwo was übersehen hat. Hat man leider nicht.
Andererseits: Wer den Film unnötig unterhaltsam fand, empfindet den Comic womöglich als erfrischend todernst.
Anti-Gags vom Rauschebart

Bei Robert Crumb gibt’s immer wieder Missverständnisse. Die gehen so: Crumb – „Fritz The Cat“ – haha, alles klar. Aber: eben nicht! Gerade auch bei „Mr. Natural“. Der Guru in Toga und Rauschebart ist eine Parodie, die aber erstaunlich wenig Wert auf ausgearbeitete Pointen legt. Manches aus dieser ausgesprochen erfreulichen Sammlung stammt aus Crumbs Sketchbooks, anderes wurde in den 60er/70er Jahren in Underground-Magazinen veröffentlicht. Skeptiker und Misanthrop Crumb parodiert hier folgerichtig nicht nur Gurus, Sekten und den Traum vom weisen Welterklärer, sondern genauso den Comicmarkt selbst.
So trifft Mr. Natural etwa von Beginn an auf seinen alten Gegenspieler/Schüler/Kunden Flakey Foont. Crumb führt ihn genauso brachial ein wie eine neue Figur in einer Soap, indem Mr. Natural laut denkt: „Jede Wette, dass er mir wieder einen seiner ollen Streiche spielen will!“ Wer denkt, er hätte was verpasst: Diese Streiche gab's nie , und es werden auch keine stattfinden.

Ebenso auffallend: Alle Abenteuer von Mr. Natural, seien sie eine halbe, ganze oder mehrere Seiten lang, beginnen halbwegs seriös, wie eine Episode mit Donald Duck, wirken aber bald improvisiert. Sie halten sich mit Nebensächlichkeiten auf, wechseln unvermittelt die Erzählrichtung und hören gerne mal einfach auf. Und zwar so abrupt, dass man als Hauptgrund vermuten muss, dass die verabredete Seitenzahl vollgezeichnet war. Das Ende sieht gerne so aus: Mr. Natural schläft ein oder geht weg, Crumb serviert dazu einen absichtlich lieblosen Schlusssatz, das war’s.
Nostalgie mit Leck-mich-am-Arsch-Qualität
All das macht „Mr. Natural“ zu einem merkwürdigen Genuss in einer eigenwillig-herzhaften Leck-mich-am Arsch-Qualität, der zugleich immer wieder in reizvollem Kontrast zu den liebevoll nostalgischen Zeichnungen steht. Wer allerdings seine Cartoons gerne mundgerecht zubereitet genießt, wird mit Enttäuschungen rechnen müssen. Ein, zwei Mitschüler von mir hätten anno Tobak wohl gesagt: „Reiß mir ein Bein raus, damit ich lachen kann.“
Ich schaff's aber auch zweibeinig.
