Als Cartoonistin berühmt, aber als Autobiografin viel besser: Marie Marcks' grandiose Aufzeichnungen ihrer sehr deutschen Geschichte
Heute wird’s günstig. Weil alt. Heißt: Sie werden sich möglicherweise (s.u.) auf dem Gebrauchtbüchermarkt bedienen müssen. Ja, sorry, ist halt so. Und eigentlich gar nicht sorry, denn Sie wissen doch: Comics bedeuten Kohlenstoff im Regal statt CO2 in der Atmosphäre. Alles klar? Gut. Thema heute: Marie Marcks. Und zwar ihre beiden autobiographischen Bände „Marie, es brennt!“ (1984) und „Schwarz-weiß und bunt“ (1989). Jaaa, sehr alt. Aber unglaublich lohnend.
Die Frau mit der Wärmepumpe
Ich kannte Frau Marcks bislang vor allem aus Rororo-Rotfuchszeiten, also vom Kinderbuch. In den 70ern machte sie comicartige Bildgeschichten aus dem Familienleben, in denen Kinder gegen Atomstrom demonstrierten, aber gerne den ganzen Tag das Licht brennen und den Wäschetrockner glühen ließen. Die Stories waren witzig, gut beobachtet, man erkannte sich als Erwachsener und als Kind wieder. Und, beim kürzlichen Wiederlesen, was fand ich da, fast 50 Jahre alt? Die Empfehlung einer Wärmepumpe. Nur mal so am Rande.
Als letztes Jahr zu ihrem 100. Geburtstag alle an sie erinnerten, bestellte ich, was mir noch fehlte. Was zu einer großen Enttäuschung führte und zu einer noch größeren Entdeckung. Die Enttäuschung: Marcks‘ Cartoons waren oft mau. Sehr gut gemeint, aber arg platt, und der Unternehmer ist immer der böse Doofi. Umso besser, bewegender, treffender war Marcks als bebilderte Erzählerin.
Zwischen Karotten und Briketts
Besonders schön: Das funktioniert ohne Anlauf, wie schon der erste Halbsatz in „Marie, es brennt!“ zeigt, der sich ihrem Geburtsjahr widmet: „Mitten in der Inflation, als 1 Mohrrübe 10.000.- Mark kostete und sich meine Mutter ihren Unterricht in Briketts bezahlen ließ…“ Dazu gibt es: eine hübsche randlose Zeichnung der Mutter auf dem Rübenfeld, in einer Mondnacht, verstohlen Karotten rupfend. Und eine breites Bild des Zeichenunterrichts im zum Atelier umfunktionierten Esszimmer. Man sieht den Parkettboden, die Schüler mit den Briketts, den Kachelofen, die Tische, und alle mit der Marcksschen naiven Ernsthaftigkeit. Marcks zeichnet hier mit Buntstift, sympathisch, unaufwändig, Text und Bild greifen sich schön ergänzend ineinander und zeigen sofort Marcks‘ Stärke: der beiläufig wirkende, aber ungemein exakte Blick, die präzise, stimmungsvolle Zeichnung, der ironisch-treffende Kommentar, dessen Schärfe sie von mild bis beißend stufenlos regeln kann.
Die Kindheit etwa, mit all ihren Peinlichkeiten, aber auch den konkurrierenden Jugendgruppen von evangelisch bis deutschnational, bekommt die milde Marie ab. Wohlgemerkt mild, nicht verklärend: Bei Marcks finden sich auch Raritäten wie diese Beschreibung der ersten Bombenangriffe 1943: „Ich muss gestehen, dass ich es unheimlich gut (damals: irrsinnig prima) fand, wenn es in der Nachbarschaft brannte, und der Angriff am 1. März war der tollste.“
Mit schmunzelnder Fassungslosigkeit
Marcks ist damals 21, sie verliebt sich gern und viel in einem Deutschland, das immer chaotischer, düsterer dem Zusammenbruch entgegentaumelt. Was man bis zur Wohnungsnot der Nachkriegsjahre in schmunzelnder Fassungslosigkeit verfolgt.
Vor diesem Hintergrund ist Marcks‘ Weg in die künstlerische Selbständigkeit in „Schwarz-weiß und bunt“ deutlich entspannter zu genießen. Was an Dramatik fehlt, ersetzt hier allerdings die optische Vielfalt. Nach dem Krieg suchte niemand Cartoonisten, dafür waren Gebrauchsgrafiker begehrt. Marcks, immer auf Arbeitssuche, deckte überraschend viele Stile ab. Wer (wie ich) nur mit ihren bekannten staksigen Figuren rechnet, staunt über die grafische Vielfalt, Schneide- und Drucktechniken, Federzeichnungen – chamäleonartig, gar nicht marcksig. Sie behauptet sich im Beruf, wobei ihr unterwegs ihr Hauptthema begegnet: die alleinerziehende Frau. Denn Marcks war nicht immer partnerschaftlich so auf- und eingeräumt, wie es damals üblich war. Fünf Kinder zieht sie groß, mal mit Patchwork, auch mal partnerlos.
Angenehm ist dabei der Tonfall: zwar ist jederzeit klar, dass Marcks die Verteilung von Belastung, Bezahlung und Berufsaussichten höchst ungerecht findet, dennoch gibt’s statt Selbstmitleid die Rezepte „Mundaufmachen“ und „Wehren“. Ein Beispiel? Marcks soll die Beschriftung der Räume einer Wirtschaftshochschule entwerfen, die lukrative Beschriftung selbst soll an eine Malerfirma gehen. Argument: „Sie können sich doch nicht als Frau mit Malstock und Pinsel hinstellen und tausende Buchstaben malen.“ Marcks macht den Mund auf, kriegt den Auftrag und pinselt, „bis mir der Arm abfault“.
Eine unprätentiöse, aber auch unbequeme Zeitreise, die man einzeln gebraucht günstig kriegt. Wer etwas mehr Geld übrig hat, findet die Autobiographie auch in der zweibändigen Werkausgabe. Und kriegt eine Menge Marcks dazu
Marie Marcks, Schwarz-weiß und bunt, Frauenbuch Verlag, Weismann Verlag, Verlag Antje Kunstmann, Büchergilde Gutenberg.
Marie Marcks, Marie, es brennt!, Frauenbuch Verlag, Weismann Verlag, Verlag Antje Kunstmann, Büchergilde Gutenberg
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Kindercomics-Test (11): „Die schreckliche Adele“ sorgt für Stirnrunzeln – doch Julia (auch 11) vermisst etwas anderes
Tough, schlagfertig, unerschrocken: Auf Anhieb spricht eine Menge für „Die schreckliche Adele“, eine Kinderserie. Diesmal wird Adele eine Märchenzuckerwelt voller Prinzessinnen und Einhörner aufmischen, und das klingt ja prinzipiell gut. Aber an der Oberfläche kratzt man besser nicht.
Der Konsumtraum: Cocktails plus Shopping
Denn woran erkennt Adele diese Märchenwelt als Märchenwelt? Daran, dass Mädchen zum Friseur gehen, im Pool Cocktails schlürfen und shoppen. Hinter dem Traum steckt zwar ein harter Prinzessinnenwettbewerb, doch das Konsum-Ideal selbst ist für sie okay. Nehm ich mal so staunend zur Kenntnis.
Noch ärgerlicher ist, was Adele so sauer macht: Dass die Prinzessinnen den harten Wettbewerb mitmachen müssen, wohingegen die Prinzen den ganzen Tag nur spielen und von Feen bedient werden. Woraufhin Adele erstmal die Prinzen an- und ihre Hilfsfeen vergiftet (!), denn: „Lernt endlich, wie man Essen zubereitet und Unterhosen wäscht!“ Was einerseits ein berechtigter Wunsch ist, aber:
Wer bekocht eigentlich Adele?
Wer wäscht ihre Unterhosen?
Was würde Pippi Langstrumpf tun?
Kann es sein, dass Adele nur sauer ist, weil es sich andere noch bequemer gemacht haben? Warum verzichtet sie nicht einfach auf den Prinzessinnen-Contest? Was hätte Pippi Langstrumpf getan? Jedenfalls hat die nie Tommy und Annika ihre Idee von Unterhosenreinigung aufs Auge gedrückt, obwohl sie ihre Wäsche tatsächlich selbst erledigte. Und Julia?
Das mit der Gerechtigkeit leuchtet ihr sofort ein. Die einen brauchen Schmunzelpunkte, die anderen nicht, das ist wirklich unfair. Trotzdem wäre sie nicht lieber bei Adele: Denn „die ist immer schlecht gelaunt.“ Noch schlimmer: In dem ganzen Comic findet Julia keine sympathische Figur außer dem Oger Fleckweg (dessen Dauergag der Comic-Gelehrte Steve Martin 1982 hier erläuterte).
Irgendwas läuft hier völlig falsch
Dabei sieht Adele gut aus: Julia mag die Zeichnungen, und ihr lesemuffliger jüngerer Bruder hat den Band freiwillig aufgeklappt und immerhin angefangen: „Adele“ ist knallbunt, schwungvoll gezeichnet, nicht zu brav, nicht zu irritierend, direkt disneytauglich. Aber trotzdem läuft hier offenbar etwas grundfalsch. Als ich Julia nach der besten Stelle im Comic frage, sagt sie verblüffend schonungslos: „Das ist wieder Fleckweg. Das war das Beste, was ich noch finden konnte.“
Die beste Stelle: s.o.
Die niedlichste Stelle: Entfällt, weil: „Das war das einzige, was mir gefallen hat.“
Julias Entscheidung
Also gut, „Alldine“ bleibt an der Tabellen-Spitze wie der FC Bayern. „Adele“ ist kein Top Drei-Material, das kann schon mal vorkommen. Aber was dann passiert, war nicht vorherzusehen...
1. Alldine & die Weltraumpiraten
2. Das unsichtbare Raumschiff
3. Zack!
4. Witches of Brooklyn
5. Hugo & Hassan forever
6. Boris, Babette und lauter Skelette
7. Hände weg von unserem Wald!
8. Trip mit Tropf
9. Willkommen in Oddleigh
10. Karl der Kleine: Printenherz
11. Superglitzer
12. Die schreckliche Adele
... wird natürlich fortgesetzt
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Lustlose Zeichnungen, schiefe Vergleiche und Gags, die man erklären muss – wie Star-Cartoonistin Liv Strömquist mit ihren Bestsellern die Frauenbewegung sabotiert
Nie hätte ich gedacht, dass man Frauen heute noch so behandeln darf. Dass man ihnen Sachen so erklärt, als wären sie etwas zurückgeblieben. Dass man sie mit schiefen Argumenten abspeist und glaubt, sie würden es nicht merken. Dass man ihre Möglichkeit zum eigenverantwortlichen Handeln einfach ignoriert – kurz: dass man sie so behandelt wie es Liv Strömquist tut.
Vielleicht erwarte ich das Falsche: Cartoons mit Witz
Die 41-Jährige ist eine schwedische Feministin, Cartoonistin und Bestsellerautorin, jedenfalls im Comicmaßstab. Ihre Bände „Der Ursprung der Liebe“ und „Der Ursprung der Welt“ verkaufen sich tüchtig, sie wurde gelobt („sehr witzig“/RBB, „hinterfotzig“/NZZ), auch hier und hier bei Spiegel Online („überzeugende Witzarbeit“). Jetzt erscheint ihr dritter Band „I’m Every Woman“. Nach der Lektüre bin ich enttäuscht, gelinde gesagt. Aber vielleicht erwarte ich auch das Falsche. Zum Beispiel Cartoons, die a) witzig sein sollten, womöglich sogar durch b) die Zeichnung.
Ich gebe zu, dass weder a) noch b) leicht fallen, wenn der Cartoon darin besteht, dass man entweder eine Figur zum einer randvollen Sprechblase stellt oder die Figur lieber gleich ganz weglässt, um eine handschriftliche Bleiwüste zu drucken. Es kann aber auch daran liegen, dass Strömquist erhebliche Probleme mit dem Konzept von „Humor“ hat. Wie erklärt sich sonst ihr Simpsons-Cartoon?
Erkennt Strömquist Satire, wenn sie davorsteht?
Die „Simpsons“ karikieren seit 30 Jahren die Ehe von Marge und Homer. Ein fetter, träger Depp ignoriert seine Frau, die deutlich cleverer ist als er, weshalb der Zuschauer sofort denkt: „Das ist nicht okay.“ Und Strömquist? Sie zeichnet Homer und Marge mit vertauschten Rollen: Marge sitzt fett auf dem Sofa, ein sportlich-schlanker Homer muss ihr Bier holen und das Kind hüten. Sinn ergibt das nur, wenn Strömquist den Simpsons-Machern unterstellt, sie hielten diese Ehe für vorbildlich. Kann doch nicht sein.
Oder?
Nun ja. Strömquist glaubt auch, dass man Witze erklären muss. Eine Cartoonserie von ihr schreibt tierisches Verhalten Menschen zu: Nachts geil schreien, bis ein Sexpartner kommt. Oder eigene Kinder anderen vor die Tür legen. Muss man Katze oder Kuckuck dazu schreiben? Strömquist muss.
Waren die Eagles wirklich im Hotel California?
Doppelbödiges kennt sie nicht. Strömquist reiht auch Sting in die Liste der „unsäglichsten Lover der Weltgeschichte“, weil „Every Breath You Take“ Stalker ermutigt. Glaubt Strömquist wirklich, dass jede/r alles meint, was er/sie in der ersten Person singt? Waren die Eagles echt im Hotel California? Nee, oder? Aber wenn sie das nicht glaubt, was bleibt dann von dem Gag übrig? Okay, witzarme Cartoonisten gibt’s öfter. Aber bissige, überzeugende Argumente kann man schon erwarten, nicht wahr? Leider hat Strömquist gerade die nicht im Repertoire. Stattdessen gibt es Windschiefes im Dutzend billiger.
Arschloch findet Frau, die bei ihm bleibt – wer ist schuld?
Die übrigen 19 Seiten der „Unsägliche-Lover“-Story etwa: Marx, Munch, Picasso, Strömquist zählt Egoisten auf, die sich wohl auch arschlochmäßig verhalten haben. Kann man tadeln, muss man tadeln, aber – im Gegensatz zu ihrer Whitney Houston/Bobby Brown-Story – unterstellt hier nicht einmal Strömquist selbst diesen Ärschen, die Frauen gezwungen zu haben, sich so behandeln zu lassen. Wenn aber die Frau jederzeit aufstehen und gehen könnte, dann bleibt vom „unsäglichsten Lover der Weltgeschichte“ nur noch ein Arsch, der eine Dumme gefunden hat. Man könnte also auf dieser Basis mit derselben Berechtigung die Liste der „Dümmsten Geliebten der Weltgeschichte“ erstellen.
Exakt auf diese wacklige Argumentation hat sich Strömquist im neuen Band leider spezialisiert. Wir kriegen dasselbe von Elvis Presley erzählt, von Jackson Pollock, John Lennon oder von Stalin. Und sogar bei Stalin belegt Strömquists Schilderung nichts weiter als dass der Fall erledigt ist, sobald man den Arsch sitzenlässt. Warum sie nicht einfach bessere Beispiele sucht? Es liegt nahe, dass es ihr wichtiger ist, Promis postmortal einen reinzuwürgen als stringent zu argumentieren. Denn Trug- und Scheinschlüsse ziehen sich wie ein roter Faden durch ihr Werk.
Strömquists Skandal: Formwandler wählt falsche Form
Sie findet, dass Modekonsum Ausbeutung ist: Teures T-Shirt hier gleich ausgebeutete Arbeiter dort. Ist das so? Nö: Das Problem ist nicht das Shirt, sondern dass die Arbeiter keine angemessenen Löhne kriegen. Eigentlich könnte niemand das besser wissen als eben – eine Frau. Aber Strömquist schimpft auch, dass Barbamama feminin gerundet ist, Barbapapa hingegen ein Klumpen. Ja, die zwei aus der Trickserie. Wo ist der Sinn des Vorwurfs, wenn die Zauberfiguren mit einem Fingerschnippen jede Form annehmen können? Sicher, man kann den Körperkult kritisieren – aber wieso mit Protagonisten, die ihre Optik so mühelos wechseln wie ein Chamäleon die Farbe?
Übertreibe ich? Möglich. Es tut einfach in der Seele weh, wenn eine gute Sache so lausige Fürsprecher hat. Und Strömquist ist Wiederholungstäterin. Im „Ursprung der Liebe“ kritisiert sie über zig Seiten, wie die Menstruation verteufelt wurde. Nicht mit simplem Verweis auf die Natur, sondern indem sie anführt, wie oft die Menstruation als gute Magie verehrt wurde. Dass die Magie des einen auch nichts anderes ist als die Hexerei des anderen – scheißwurscht. Kann sein, dass Strömquist so sehr an ihre Sache glaubt, dass sie davon ausgeht, automatisch Recht zu haben. Aber dann argumentiert sie genauso schlampig, beliebig und selbstgefällig wie jeder 90-jährige Landrat der CSU.
Argumente wie von einem CSU-Landrat
Okay: Warum sollten Frauen sich mehr Mühe geben als Männer?
Weil Männer ihre Gleichberechtigung schon haben. Und weil Frauen daher starke Verbündete gut brauchen könnten: Ideenreichtum etwa, Charme oder souveräne und witzige Überzeugungskraft.
Bedeutet: So lange Frau Strömquist dran arbeitet, haben Männer wenig zu fürchten.
Dieser Text erschien erstmals bei SPIEGEL Online.